Bilderbücher für Erwachsene zeigen der Anhaltische Kunstverein und die Anhaltische Landesbücherei in der Ausstellung „Buchkunst“ in der Orangerie der Anhaltischen Gemäldegalerie. Die Tradition des Büchersammelns jenseits der Klöster geht in Anhalt bis in die Reformationszeit zurück. Den Grundstock der Sammlung bildete die Bibliothek des gelehrten Fürsten Georg III. (1507–1553). Seit 1992 sammelt die Anhaltische Landesbücherei auch Buchkunst von vornehmlich sachsen-anhaltischen Künstlern.
In Büchern muss man ja nicht immer lesen. Jenseits des herkömmlichen Gebrauchs kommt so einem gebundenen Stück Geist auch ein unbestreitbarer Dekorationswert zu. Aber manch ein Exemplar verweigert sich der verstaubenden Nutzung als Bildungsdesign und beansprucht den Rang eines eigenständigen Kunstwerkes. Dann kann man meist nicht mehr bekannten Lettern folgen, sondern muss sich anderer Lesarten außerhalb der gelernten Begrifflichkeit bedienen.
Zu bibliophilen Exemplaren der Vergangenheit gesellen sich also Kunstbücher der Gegenwart. Das sind manchmal provozierende, manchmal meditierende oder witzig verspielte Objekte, die Texte, Zeichnungen, Radierungen und Collagen jenseits genormter Seitengrößen vereinen oder ganz zu Skulpturen werden.
1994 musste die Sammlungstätigkeit eingestellt werden, weil die benötigten Mittel fehlten. Seit 1997 fließen sie wieder. „Das Land fördert die Entstehung der Kunstbücher und ist daran interessiert, sie an einer öffentlich zugänglichen Stelle zu sammeln“, sagt Martine Kreißler von der Landesbücherei. So kann der Interessent, wenn die Kunstbücher nach Ende der Ausstellung am 19. Mai wieder im heimischen Magazin Quartier bezogen haben, im Lesesaal der Landesbücherei das tun, was in einer Vitrinenausstellung nicht möglich ist – in ihnen blättern.
Immer geht das allerdings auch dann nicht. Das „Buch ohne Worte“ von Johanna Bartl hat zwar einen Riegel, aber der ist seiner Funktion enthoben. Die Aura eines betagten Buches vermag eben auch ein Holzklotz zu versprühen. Die von der Künstlerin illustrierten „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ bleiben ebenso geschlossen, aber ihre Schriftrollen in kleinen Glaszylindern wirken auch ungeöffnet.
Ein Kriterium der Sammlung sei, so Kreißler, Objekte von Künstlern zu sammeln, „von denen schon Bücher im Bestand sind, um deren Entwicklung darstellen zu können“. So finden sich in der Schau viele Arbeiten des Bernburger Künstlers Ulrich Tarlatt, die er in der „edition augenweide“ herausgab. In deren leichtfüßiger Hintersinnigkeit würde man gern blättern, aber die Ausstellung ist eben nur ein großer Katalog.
Einen Katalog zur Ausstellung gibt es auch. Da steht – das Thema gibt es vor – „buchkunst“ drauf. Rainer Sauerzapfe wollte sich wohl mittels biederer Falt- und Stanzkunst neben dem gequälten Kontrast von gräulicher Pappe und weißem Papier unter die Buchkünstler reihen. Hier kann man nun wieder hineinschauen, während die Almanache von Ralf Lange mit dem reizvollen Namen „dada“ in Vitrinen liegen.
Ein „Baedecker“ von Burghard Aust ist aufgeklappt: „Die Hauptstadt von Amerika ißt Wurstschinkton“, wird da doziert, während ein bekanntes Entlein in den Kreis des Michelangelo gesetzt ist. Wenig entfernt posiert jedenfalls ein Philanthrop aus grauer Vorzeit. Einige Blätter zu Phrometheus aus einer Mappe, die der Kulturbund der DDR 1982 zum 150. Geburtstag von Johann Wolfgang von Goethe anfertigen ließ, hat der Kunstverein gerahmt.
Die Landesbücherei sammelt – Arbeiten von Harald Naegli oder Daniel Ben-Hur zeugen davon – auch Bücher von Künstlern, die in Dessau ausstellten. Zudem wird natürlich mit der Hundertjahrausgabe von Goethes „Faust“ oder einem Buch von Luther „über die Epistel der Aposteln“ von 1539 ein Bogen in die Vergangenheit gespannt.
Ein leichter Druck im Stirnhirn, wie er von zu langen Blättern in Bibliothekskatalogen erzeugt wird, gehört zu den Nebenwirkungen der umfangreichen Ausstellung. Aber dann bekommt man auch Lust zum Schnüffeln. Wenn man etwa ein Glas öffnet, welches ein Buch enthält, das „Den Fliegen“ gewidmet ist, schwirrt einem kein Getier entgegen. Olaf Wegewitz hat Blätter gesammelt, die mit Fraßgängen von Insektenlarven geziert sind. Auch Fliegen können schreiben. Der Zeit entsprechend schnell zu lesen, sind die gesammelten Werke von Gerhild Ebel. Löcher markieren die Zeilen – eine wahre Alternative für mach schnell gedrucktes Buch. von THOMAS ALTMANN.DESSAU/MZ.